Sozialpolitisches Statement des Fraktionsvorsitzenden der DAK-VRV, Rainer Schumann

Sozialpolitisches Statement des Fraktionsvorsitzenden der DAK-VRV, Rainer Schumann, anlässlich der Sitzung des Verwaltungsrates der DAK-Gesundheit am 26.03.2021


Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

Corona beherrscht seit jetzt über einem Jahr in fast allen Bereichen unser Leben. Corona und unsere Gesundheitsversorgung haben eine starke Wechselwirkung. Beginnen wir hier mit dem Blick auf unseren staatlichen Föderalismus. Weiterhin wird auf die Frage eingegangen, wer die Hauptlast von Corona trägt. Es gibt erste Studien darüber, wo wir uns hauptsächlich anstecken. Dann wird aufgezeigt, welchen Vorteil wir von einem europaweit geltenden Impfpass haben werden und abschließend, wie ein zukünftiger Umgang mit dem Virus aussehen könnte.

 

Föderalismus oder Kleinstaaterei?

Föderalismus ist die Zusammenfassung mehrerer Staaten (Bundesländer) zu einem Gesamtstaat (Bund). Der Gesamtstaat ist für Dinge zuständig, die im Interesse des Volkes einheitlich geordnet werden müssen. Der Föderalismus hat sicher seine Vorteile, aber das Bild, dass die politischen Entscheidungsträger derzeitig abgeben, ist jämmerlich: Bund und Länder streiten sich, wie Corona finanziell und organisatorisch in den Griff zu kriegen ist. Es werden Mängel deutlich, die es im Januar 2020 auch schon gab, aber erst jetzt sieht sich die Politik gezwungen, sich derer anzunehmen. Immer wieder sitzt die Bundeskanzlerin mit den 16 Verantwortlichen der Bundesländer zusammen, um ein halbwegs abgestimmtes Vorgehen zu vereinbaren.

Nach der Sitzung beginnt das Mittelalter der Kleinstaaterei. Kaum sind die Landesfürsten wieder zu Hause, macht jeder, was er will. Vor allem, wenn Landtagswahlen anstehen. Denn die Anwendung des Infektionsschutzgesetzes ist Ländersache. Nur so ist zu erklären, warum zum Beispiel für die Ludwigshafener (Rheinland-Pfalz) andere Corona-Regeln gelten als für die Mannheimer (Baden-Württemberg) auf der anderen Rheinseite. Natürlich müssen und können Unterschiede bestehen. Aber diese sollten ausschließlich durch unterschiedliches Infektionsgeschehen begründet sein, um auch akzeptiert zu werden.

 

Wer trägt die Hauptlast von Corona?

Mehr und mehr rückt diese Frage in den Vordergrund der medialen Berichterstattung. Zuletzt in der Tagesschau am 10.März 2021. Am selben Tag behauptet Oliver Nachtwey in der Süddeutschen Zeitung, Corona treffe Arme härter als Reiche. Es gäbe ausgezeichnete soziologische Forschungen darüber, dass die Risiken sich anzustecken und/oder einer wirtschaftlichen Schlechterstellung ungleich verteilt sind. Das sind zum Beispiel Alleinerziehende, Hartz-IV-Empfänger, Mitbürger mit Migrationshintergrund, geringerer Schulbildung oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Bei einer Auswertung von Daten von 1,3 Millionen Krankenversicherten war zu erkennen, dass Bezieher von Hartz IV doppelt so oft stationär behandelt werden müssen wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Das RKI hat von Mitte Januar bis Mitte Februar 1.000 Geimpfte nach der Schulbildung befragt: ca. 56 % Gymnasium, 28 % Realschule und 16 % Hauptschule. Eine mögliche Schlussfolgerung: je höher der Bildungsgrad umso höher war der Erfolg bei den Bemühungen oder wurde die Notwendigkeit gesehen, sich impfen zu lassen.

 

Wo stecken wir uns an?

Solange es dazu keine belastbaren Antworten gibt, ist jede Maßnahme angreifbar und wird nicht akzeptiert. Die Corona-Warn-App des Bundes ist ein Flop. Zu Beginn der Pandemie hat es eine große Debatte über die Einhaltung des Datenschutzes gegeben. Es war nicht gewünscht, dass die App persönliche Daten speichert. Deswegen wird der Nutzer lediglich über ein Risiko informiert, wenn der Verursacher dies auch in der App bekannt gibt. Viele Gesundheitsämter haben bei der Nachverfolgung mit ihrer unzeitgemäßen Zettelwirtschaft schon im Herbst resigniert – aber das wagt niemand zu sagen.

Wenn Infizierte in Lokalen oder öffentlichen Veranstaltungen andere anstecken, sicherlich ohne sich dessen bewusst zu sein, entstehen sogenannte Hotspots. Diese zu identifizieren, muss eine App leisten können. Dazu loggt man sich an seinem Aufenthaltsort durch das Scannen eines QR-Codes ein und die Daten werden verschlüsselt an das Gesundheitsamt übermittelt.

Tritt ein Infektionsfall auf, ist zu erkennen, mit wem sich der Infizierte gemeinsam am selben Ort aufgehalten hat und ob sich dort ggf. ein Hotspot gebildet hat. Aus Gründen des Datenschutzes braucht das Amt, wenn es auf die Kontakthistorie zugreifen will, die Zustimmung der Betroffenen. Das ermöglicht dann eine effiziente digitalunterstützte Nachverfolgung.

 

Freie Fahrt mit Impfpass?

Die Bundesregierung hat bis heute sehr, sehr viel Geld in die Hand genommen, um durch Corona entstehende Schäden, insbesondere finanzieller Art, zu mindern. Der Sommer steht vor der Tür, die Tourismussaison soll nicht ausfallen. Manche Regierungen halten eine Debatte über Reisefreiheit für verfrüht. Die grundsätzliche Frage lautet doch: kann man Geimpften Grundrechte weiterhin vorenthalten, wenn sicher ist, dass sie nicht mehr infektiös sind?

Für eine „Freie Fahrt mit Impfpass“ sind nach Meinung der Fachleute zwei Voraussetzungen zu erfüllen: Jeder, der sich impfen lassen will, muss dazu die Möglichkeit (gehabt) haben. Und bis zum Sommer sollte möglichst europaweit ein System gegenseitig anerkannter Impfpässe etabliert sein.

Bundesgesundheitsminister Spahn beabsichtigt, ein US-Amerikanisches Unternehmen gemeinsam mit drei deutschen Firmen zu beauftragen, bis zum Ende des zweiten Quartals 2021 eine entsprechende Anwendung zu entwickeln. Der IBM schreibt man eine hohe Kompetenz zu, da sie für große gesetzliche Krankenkassen die ePA entwickelt hat. Es soll eine Prüf-App geben, um den Impfstatus wie den Barcode eines Bahntickets zu scannen. Möglicherweise müsse zusätzlich ein Ausweis vorgelegt werden.

 

Corona 2022

Es hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Drittel, der ehemals an Corona Erkrankten von Spätfolgen betroffen ist, auch bei einem leichten Verlauf. Die Palette der Symptome reicht von Kurzatmigkeit, Verlust des Geruchssinns bis hin zu neurologischen und kardiologischen Einschränkungen. Der Denkansatz, mit dem Virus leben zu können, ist offensichtlich nicht erfolgreich. Man wird sich wohl nie mit ihm arrangieren können.

Die jetzigen Strategien funktionieren so schlecht, dass man die Grundrechte einschränkenden Maßnahmen zu Recht als unverhältnismäßig kritisieren kann. Aber Gesundheitsschutz und Freiheit müssen keine Gegensätze sein. Wir müssen nicht härtere Maßnahmen ergreifen, sondern effizientere. Die dritte Welle wäre vermutlich nicht so gekommen, wenn die Kontakte konsequent nachverfolgt worden wären (siehe oben „Wo stecken wir uns an“?).

In der Konsequenz schlagen Wissenschaftler eine „No-Covid“-Strategie vor. Der Corona-Virus lasse sich nicht eindämmen, man müsse ihn austrocknen. Sonst kommt es Jahr für Jahr zu Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens und einer Belastung der Gesundheitssysteme mit den entsprechenden finanziellen Folgen.

Die Gesetzlichen Krankenkassen haben 2020 mit einem Minus von 2,654 Milliarden € abgeschlossen. Das Defizit des sogenannten Gesundheitsfonds betrug 3,582 Milliarden €. In Summe sind das gut 6,2 Milliarden €. Sehr viel Geld, das von Beitragszahlern aufgebracht werden muss. Die Gründe sind auch deutliche Ausgabensteigerungen in den Hauptleistungsbereichen durch Gesetzesänderungen ohne Bezug zu Corona. Der GKV-Spitzenverband fordert zu Recht einen Zuschuss aus Steuermitteln auch für das laufende Jahr. Mit einem einmaligen Zuschuss wie im Jahr 2020 ist es nicht getan.